Sinn und Unsinn lebendiger Geschichtsdarstellung

Sonstige Themen rund ums Mittelalter.
Steve L.
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Sinn und Unsinn lebendiger Geschichtsdarstellung

Beitrag von Steve L. » 12.01.2007, 14:18

Auf Negley´s Bitte hin eröffne ich hier mal einen Thread zu einem Hobby, das sich nicht allen allzu schnell erschließen mag.

Als Beispiele führe ich mal die von mir präferierten Zeitstellungen auf - und jeweils das weshalb!

Es begann mit einer Zeichnung:

Bild(Quelle/ Urheberrecht: T. Trauner, NHG Nürnberg)

Ich war auf der Suche nach einer Zeitstellung/ Kultur, da ich "in die lebendige Geschichtsdarstellung einsteigen" wollte. Damals war - zu meiner heutigen Scham will ich´s hier gestehen - Eitelkeit die primäre Triebfeder! Dieses "Gott-würd-ich-darin-gut-aussehen!"-Syndrom!

Ich also bei einem Spezialisten die Hardware in Auftrag gegeben (nach den besagten Jahren der Recherche, mit der Bronzezeit hatte ich mich schon eine ganze Weile zuvor befasst).

Ich musste ziemlich lange drauf warten, aber ich wollte "gleich loslegen", also suchte ich mir "temporale" Alternativen. Da ich mich auch mit der Keltike befasst, aber die Latènezeit mich nicht ansprach, wandte ich mich der Hallstattkultur zu, welche damals (vor 2 Jahren) völliges Neuland für mich war. Im Rahmen meiner Recherche lernte ich viele nette Leute kennen - vor allen Dingen mich selbst. Aus der Eitelkeit wurde immer mehr eine Art "Berufung", da das Verantwortungsbewusstsein der Geschichte gegenüber immer weiter wuchs. Ich lernte auch, korrekt zu recherchieren und wissenschaftlich vorzugehen. Ich lernte den Aufwand hinzunehmen, den eine simple Gewandschließenform bedeuten kann, wenn man die korrekte für seine Zeitstellung und Gegend verwenden will!

Es ist dann schon ein tolles Gefühl, wenn man immer weiter kommt, alte Erkenntnisse über Bord werfen kann (Fehler passieren immer) und seine Arbeiten neuen Erkenntnissen folgend korrigiert. Heute lach´ich über meine ersten Schritte in meiner damaligen Kluft und es macht schon etwas stolz, wenn anerkannte Archäologen einem auf die Schulter klopfen und sich mit einem ablichten lassen...

Irgendwie hat sich die Eitelkeit in mir ein neues Tätigkeitsfeld gesucht! :o

Lange Rede, kurzer Sinn:

Es ist fordernd, erfüllend, spannend, bildend (insbesondere den Charakter), Freundschaft wie Feindschaft fördernd (will sagen: es bringt die richtigen Leute zu Dir, die falschen von Dir weg oder lässt sie erst gar nicht ran)! Und da die Wissenschaft immer wieder was neues herausbringt, wird man auch nicht fertig!

Ich rekonstruiere übrigens ausschließlich Sachkultur! Ich laufe als Steve in Klamotte rum und bin nicht "OhneIx der Gallier" oder so! Ich trage die Klamotte auch gerne mal einen Tag oder zwei in stimmiger Umgebung (Freilichtmuseum), freu mich aber jedesmal auf Jeans und Dusche! :D

Vielleicht sprechen mich diese Zeitstellungen auch an, weil´s über irgendwelche Deportationen und Genozide keine Funde und Befunde gibt! Sicherlich muß ich mir auch Gedanken darüber machen, wie ein einzelner zur Bronzezeit an die von mir rekonstruierte Ausstattung gekommen sein könnte - da wir Gewalt gegen andere durchaus als probates Mittel in Erwägung gezogen!!! Kann aber auch ein wirtschaftlich erfolgreicher Charmebolzen gewesen sein! 8-)

Eigentlich müsste ich jedem anderen Darsteller ebenfalls dessen Zeitstellung/ Epoche/ Kultur zubilligen, aber diesbezüglich hege auch ich meine Ressentiments! 8-|

Aber die sind allesamt persönlicher Natur, denn ich habe persönlich für die römische Antike nichts übrig, weil heute noch an Schulen die Meinung gelehrt wird, dass mit Rom Kultur nach Mitteleuropa kam, wo zuvor keine gewesen sein soll.

Wäre ungefähr so, als würde man sagen, dass in Polen keine Kultur war, bevor die Wehrmacht einmarschierte!

Und so wird meine persönliche Antipathie gegen das antike Rom als für mich persönlich schwer nachzuvollziehendes Interesse lebendiger Geschichtsdarstellung römischer Historie transportiert.

Ebenso im Fall der darstellenden Indianistik als "Non-Natives"! (So viel Mühe sich die Leute auch geben und Sonnentänze aufführen - wie fühlte sich ein Katholik, wenn ein an Totems glaubender Lakota sich die Soutane und Tiara anlegt und das urbi et orbi darstellt!!!???)

Western-Darstellung ist auch so ein Ding, denn die Pionierzeit wurde mit Blut (hauptsächlich mit dem der Natives) geschrieben! (Ich kenn´auch keine Darstellung eines US-Armeebeauftragten, der Pocken-verseuchte Decken feilbietet!)

Ebenso Reconquista-Darstellung!

Es gibt unzählige (gut) dokumentierte historische Befunde, welche man nicht weiter darstellend vertiefen sollte!

Ausnahme bleibt stets:

Rekonstruierte Sachkultur! Solange es nicht darüber hinaus geht und nicht irgendwelche fiktiven Charaktere aus der dargestellten Zeit generiert werden, denn ab diesem Zeitpunkt wird das Format korumpiert!


Was sich mir überhaupt nich erschließt sind Darstellungen historischer Befunde des 20. Jahrhunderts.

Die lebendige Geschichtsdarstellung verliert für mich ab dem Moment jegliche (!) Relevanz, sobald eine fast lückenlose Dokumentation in Schrift, Bild und Ton vorliegen!

Darsteller dieser Befunde (WK I, WK II, Korea, Vietnam, Golfkrieg,...) haben es sehr schwer, mich von ihrer persönlichen Reife und Sozialkompetenz nachhaltig zu überzeugen! Gelungen ist dies bislang einem (!) unter mehreren hundert!!!

Negley, das ist meine Motivation und meine Meinung zur "Szene"!
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Taran
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Grenzen der Darstellung

Beitrag von Taran » 12.01.2007, 15:19

Steve,
erstmal meine Bewunderung für
a) deine Ehrlichkeit bezüglich der (ursprünglichen) Motive und
b) deiner Hartnäckigkeit, auch das nötige Fundament sich anzueignen.
Super!

Dass die Darstellung mancher Epochen problematisch ist bzw. sich auch niemand gerne dazu herbeilässt, den "mit pockenverseuchten Decken handelnden Indianeragenten" darzustellen, ist eigentlich einleuchtend.
Ganz sicher gab es aber z.B. auch Indianer, die nicht gerade eine Zierde ihres Volkes oder der Menschheit gewesen sind. Der edle Wilde ist ja auch nur ein europäischer Mythos.


Recht hast du sicher, dass die Kultur in unseren Breiten nicht mit Rom begann, und eine Darstellung, wie du sie pflegst (das im Wortsinn und als Kompliment zu verstehen), ist wichtig, um vielen Leuten den Horizont zu öffnen, wie reichhaltig und weit zurückreichend Kultur und Kulturgeschichte sind. Ich persönlich finde es faszinierend. Bis vor recht kurzer Zeit hatte ich auch nur eine ziemlich falsche Vorstellung z.B. von der Hallstattzeit. Und jetzt habe ich auch erst eine vage Ahnung, was da alles los war...

In einer Hinsicht bist du schon ein bisschen unfair: Die Leistungen der Römer sind vielleicht oft "zu Tode gelobt" oder überbewertet worden, aber jedenfalls sind viele ihrer Verbrechen auch sehr gut dokumentiert. Kannst du für deine Zeit, deine Darstellung ausschließen, dass es dort nicht auch Leute, Häuptlinge etc. gegeben hat, die ihren Nachbarn das Leben zur Hölle gemacht haben? Sicher, sie haben kein Weltreich gegründet, aber das ist m.E. nicht ihr Verdienst, weil sie nicht bewusst darauf verzichtet haben.

Jeder, der so eine Darstellung macht, sollte sich mit der Schuld, die seine Gruppe/Epoche ganz spezifisch auf sich geladen hat, auseinandersetzen; ich finde auch das interessant, weil es mich viel über das Wesen des Menschen lehrt.

Du hast einfach das Glück (Ironiemodus an), das die Kelten und noch Frühere so schlau waren, ihre Schandtaten nicht aufzuschreiben und nur mündlich verherrlichen zu lassen. Da ist es leicht, gut dazustehen! (Ironiemodus aus)

Wenn ich an die sprichwörtliche Treulosigkeit, Zerstrittenheit, die Machtkämpfe, Putsche, den puren Opportunismus kelt. Adliger während der röm. Eroberung (die Cäsar natürlich weidlich ausnützte) denke, erscheint mir die ständige Gewalt im Nahen und Mittleren Osten als gar nichts Neues mehr...
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Steve L.
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Beitrag von Steve L. » 12.01.2007, 15:29

In einer Hinsicht bist du schon ein bisschen unfair: Die Leistungen der Römer sind vielleicht oft "zu Tode gelobt" oder überbewertet worden, aber jedenfalls sind viele ihrer Verbrecheb auch sehr gut dokumentiert. Kannst du für deine Zeit, deine Darstellung ausschließen, dass es dort nicht auch Leute, Häuptlinge etc. gegeben hat, die ihren Nachbarn das Leben zur Hölle gemacht haben? Sicher, sie haben kein Weltreich gegründet, aber das ist nicht ihr Verdienst, weil sie nicht bewusst darauf verzichtet haben.


Ja, da hast Du Recht! Deswegen setzte ich die wichtigen Worte in dieser Aussage ja auch ins Kursiv! ;-) Vielleicht sollte ich dennoch nachsetzen und sagen, dass meine Antipathie gegen ein antikes Reich und mein mäßiges Verständnis für dessen heutige Darsteller deren Aufwand und Rekonstruktionsqualität in keinster Weise herabsetzen soll! Da gibt es Gruppen, die sind der Oberhammer, was den musealen Eindruck anbelangt!!!!
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Beitrag von Peter O. Stecher » 12.01.2007, 15:42

Steve, auch Taran;

das Problem ist nicht spezifisch Reenactment o.Ä. (Tarans Kompliment an Steve schließe ich mich 100%an)

Das Problem liegt glaube ich in unserem Schwarz/Weiß-Denken. Jemand der vorwiegend Böses tut (bzw. man sich nur mehr an dessen böse Taten erinnert) kann doch nichts Gutes tun, oder isser vielleicht doch Gut??
Nein, er ist ein Mensch, vielleicht so oder so gewickelt aber nicht mit einer homogenen Seele ausgestattet.
Ich nehme an dass auch Nero, Napoleon, Stalin u. *** usw. ihre guten Taten vollbrachten...
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Steve L.
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Beitrag von Steve L. » 12.01.2007, 15:55

Negley, gehe mit Deiner Äusserung konform. Es gibt nichts absolut gutes und nichts absolut schlechtes.

Und ich bin mir auch des dünnen Eises bewusst, auf welches sich jeder Geschichtsdarsteller begibt.

Deswegen rekonstruiere ich ja auch ausschließlich das, was man ausgräbt, oder fasse Interpretationen zu gesamten Rekonstruktionsvorschlägen zusammen. Ich versuche, möglichst verantwortungsvoll mit der Thematik umzugehen und würde mir wünschen, wenn dies generell seitens aller Darsteller(innen) so gehandhabt würde!

Solange man klar aufzeigt, dass man ein Mensch des 21. Jahrhunderts ist, welcher sich lediglich in Trachten vergangener Epochen und Kulturen hüllt, ist die lebendige Geschichtsdarstellung vertretbar.

Sehr schwierig fällt es objektiven Besuchern, irgendwelche Darsteller zu akzeptieren, welche sich als fiktive Personen vergangener Epochen ansprechen. Im LARP ist das in Ordnung - auf einem musealen Anlaß in keinster Weise!

Aber die Auffassungen und Vorgehensweisen gehen hier leiderst seht weit auseinander.
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Beitrag von Taran » 12.01.2007, 16:02

Jeder versucht es eben, soweit es ihm Möglichkeiten, Zeit, Neigung und Geld erlauben,- ich würde mich niemals als ernstzunehmenden Darsteller bezeichnen, mir macht eher das Zusammenbasteln Spaß...
Dumm ist es halt, und das wurde in diesen Diskussionen, die hier ja auch nicht neu sind, wenn jemand falsche oder unhaltbare Ansprüche erhebt. Ich sage von mir: Ich will so ungefähr aussehen wie... aber ich kenn mich da nicht wirklich aus und außerdem weiß ich schon, dass das und das nicht stimmt, und das Ausrüstungsteil hab ich mir so gebastelt, weil es mir einfach so gefiel; und dann schicke ich alle zu Steve und sage: SO sieht das aus, wenn mans richtig macht. :D
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lebendige Geschichte

Beitrag von longdedl » 12.01.2007, 16:19

Hi für mich ist die Unterscheidung von Geschichte von oben (Napoleon) und Geschichte von unten ( darstellung eines Haushalt in der Zeit so und so) sch0on einmal ein Einstiegkriterium. Geschichte von Oben: z.b. die Kaiser des römischen Imperiums, als Ausdruck für die wichtigen Ereignisse der Epochen, dann von Interesse wenn etwas zum Lernen oder besser für die Bildung überliefert ist.
Leichter ist Geschichte von Unten: die Bildung kommt leichter herüber, weil ich mich in den Werken und dem Handeln der Epoche wieder finden kann ( z.b. Handwerk Schmiede gestern und heute etc.)
Geschichte darstellen: Hamlet, eine mehr oder weniger autentische Darstellung von Geschichte in der Kunstform Theater, oder?

Laientheater und Larp, wie groß ist der Unterschied zwischen diesen Rollenspielen?

Historisches: Wanderndes Hirtenvolk trifft auf griechische Philosophie, Ergebniss: Christentum.
Oder Bogensportliches: Mann trifft Apfel (Wilh Tell Schiller...Kurzfassung)

Oder das Nachdenken über das Geld (Stühle und Tische kann man nicht vergleichen)fördert die herausbildung der griechischen Philosophie (das Nachdenken über das was tagtäglich so gemacht wird /handeln).

Oder die Einstellung der Griechen gegenüber der Polizei: Ein Bürger kontrolliert (spitzelt) seine Nachbarn nicht....Ergebniss Polizei wird aus Fremden, Sklaven bzw Unfreien zusammengesetzt.

Oder das Wort Sklave kommt von Werkzeug / Organon...wie der Arm das Werkzeug des Kopfes (Gehirn) ist.
So ist die Welt auch Relativ weil ich mir sie so denke
und das böse ist immer und überall, weil es Ausdruck für das ist was nicht funktioniert, oder scheitert, oder lügt...

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Beitrag von Peter O. Stecher » 12.01.2007, 16:30

Stimme allem zu!!!
Das derlei Darstellungen Publikumswirksam sind ist auch klar, Heiliges Königreich der Himmel...

Übrigens suche ich noch Darsteller für unsere Spanische Conquistadoren Gruppe, Thema: Lagerleben mit Pizarro od. Pizzaarrow od. Bizzaro..... :D :D :D :D :D :)
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Beitrag von Taran » 12.01.2007, 16:33

:anbet

Ja, Longdedl, es ist einfach interessant, was so alles vorgefallen ist im Laufe der Geschichte! Über manches sind wir hinaus, manches haben wir immer noch nicht kapiert, und dafür machen wir Fehler, die unsern Altvorderen nicht im Entferntesten in den Sinn gekommen wären, können aber auch Sachen, die sie ihren Magiern nicht und ihren Göttern vielleicht zugetraut hätten, und erkennen eine Sackgasse immer noch nicht, bis wir mit dem Kopf gegen die Mauer gerannt sind. Dann aber hat es jemand die ganze Zeit besser gewusst! :D :D :D
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Steve L.
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Beitrag von Steve L. » 12.01.2007, 16:33

...und dann schicke ich alle zu Steve und sage: SO sieht das aus, wenn mans richtig macht.


Zu viel der Ehre, aber auch ich bin noch lange nicht auf dem Zenith!!!!!!! ;( Ich weiß auch nicht, ob meine Methode die einzig wahre ist - aber anbetracht der Anerkennung durch die "richtigen" Leute scheine ich auf einem akzeptablen Weg zu sein!
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Beitrag von Taran » 12.01.2007, 16:35

Du bist nicht auf dem Zenith?
Du weißt nicht, ob deine Methode die Einzig Wahre ist?

Dann ist gut! Ich kann jeden ertragen, ob er nun Recht hat oder hoffnungslos daneben liegt - solange er über sich zu lachen vermag.
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Niels

Beitrag von Niels » 12.01.2007, 16:38

Als Kind ging ich gern und oft mit meinen Eltern in alle mögliche Museen. Da ich ein blühende Phantasie hatte, stellte ich mir zu den Bauten und Gegenständen immer kleine Lebensausschnitte vor und tagträumte dann so vor mich hin. Meine Eltern förderten das indem sie mich mit Literatur versorgten und so wurde Geschichte schon früh mein Steckenpferd.

Erwachsen geworden war ich dann zunächst mal sehr mit anderen Dingen beschäftigt, wie Nationale Volksarmee und Studium überstehen, beruflich Fuss fassen, heiraten, Haus bauen usw. und irgendwann war wieder mehr Zeit vorhanden.

Zum Reiten kam das Bogenschießen dazu und ich wurde wahrscheinlich in diesem Zusammenhang (so genau kann ich das gar nicht mehr nachvollziehen) darauf aufmerksam, dass es da so ein paar Verrückte gibt, die versuchen, Geschichte lebendig werden zu lassen, indem sie sich verkleiden und Lebensausschnitte vergangener Zeiten nachempfinden.

Ja, am Anfang überwog bei mir auch das Kopfschütteln. "Wie kann man sich nur als erwachsener Mensch ...".

Und deshalb habe ich mich dann doch lieber so wichtigen und erwachsenen Dingen zugewandt, wie Autos, Bogenschießen, die Jagd ... auf eine Lederblase mit 21 anderen Jungs in kurzen Hosen, und solche Sachen.. (puh gerade noch mal die Kurve gekriegt). ;-)

Nein so war das nicht wirklich: Vielmehr habe ich mich gefragt, was an dem, was diese Verrückten da machen, eigentlich mehr Kopfschütteln auslöst, als der ganze andere Quatsch, der als gängiges und akzeptiertes Hobby angesehen wird.

Ich bin dann recht schnell dahinter gekommen, dass es sehr spannend sein kann, wenn man es im Sinne einer wirklich ernsthaften Beschäftigung mit Geschichte macht. Im Grunde ist es die Fortsetzung meiner Kindheitsbeschäftigung. Allerdings mag man es ja nicht so, als kindisch angesehen zu werden. Und so die rechte Erfüllung ist es für mich auch nicht, mich an Hollywood und Co. zu orientieren. Da waren ja schon meine Kindheitsvorlagen besser. Also versuchte ich mit Leuten in Kontakt zu kommen, die sich ernsthaft mit Rekonstruktionen etc. beschäftigen und das gelang ganz gut.

Die Zeitstellung ergab sich daraus, dass ich es mir nicht als erfüllende Freizeitbeschäftigung vorstellen konnte und kann, lediglich als lebender Kleiderständer durch die Gegend zu laufen, ohne etwas zu tun (und auch zu können). Also wurden Reiten, Bogenschießen und Geschichtsdarstellung - auch der schon der Einfachheit halber und weil jeder Bestandteil dadurch unglaublich mehr Spass macht - zusammengefasst und damit war schon mal eine ziemliche Eingrenzung da. Und so nahmen die Dinge dann ihren Lauf ...

Auch ich mag es nicht besonders, einen erfundenen Charakter darzustellen. Ich bin kein Schauspieler und schon gar kein guter. Gelegentlich kommt man nicht umhin, wie letztes Jahr im Freilichtmuseum Tilleda, wo mir im ottenenzeitlichen Abschnitt des vom Pfalzarchäolgen ausgearbeiten Programms sogar eine Sprechrolle zuviel. Im Script stand: "Der Anführer der Magyaren, die Tribute fordern, reitet vor den Wall und ruft unverständliches" :-(

Lieber erkläre ich dies oder jenes und freue mich über Interesse an "meiner Zeit". Dabei wird dann auch das Streben nach Bestätigung durch andere, das wohl kaum einer leugnen kann, wenn er ehrlich zu sich ist, befriedigt. Natürlich spielt aber auch der "eigene Film, der dann nur für mich und die anderen Beteiligten läuft" eine Rolle, besonders wenn die Besucher weg sind. Ein wenig bin ich dann wieder der tagträumende Junge (naja vielleicht auf einen etwas erwachseneren Niveau).

Im übrigen bin ich mir nicht sicher, ob es viel bringen kann, den tieferen Sinn eines Hobbys rechtfertigen zu wollen. Eine Freizeitbeschäftigung dient doch in erster Linie mal der Entspannung von der Arbeit. Da gibt es dann aktive oder passive Varianten und dem Zweck ist gedient, wenn ich mich entspannen und abschalten kann. Und das kann doch nur jeder für sich selbst beurteilen.

Obwohl, es hätte sicher auch seinen Unterhaltungswert, eine Hobby -fußballer, - tänzer, -modellbauer, -briefmarkensammler, - angler, -usw. nach dem tieferen Sinn seiner Freizeitbeschäftigung zu befragen. Es kommt nur kaum vor.

Taran
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Find ich gut

Beitrag von Taran » 12.01.2007, 16:46

Niels, das fand ich gut geschrieben. Schade, dass ich dich noch nicht kennengelernt habe!

Und deine Sprechrolle!!! LOL
You just made my day....
Danke!!!
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Beitrag von Schattenwolf » 12.01.2007, 16:55

Das ist jetzt an niemanden speziellen gerichtet!

Aber bei diesem ganzen Anspruch an Authenzität, nicht nur an die eigende Person, sondern gerade auch an Andere....schließlich hat man ja eine Verantwortung....wird von der "A"-Fraktion immer gern übersehen das jeder mal "klein" angefangen hat!
Einwenig mehr Toleranz und auch freundliche Hilfestellund, wenn sie gewünscht ist, wäre sicher besser als gleich mit dem mahnenden Finger auf wen zu Zeigen - nach dem Motto - das ist aber nicht belegt, das darf nicht sein.

Gerade bei der Darstellung von Völkern und Kulturenkreisen die viel herumgekommen sind, seis durch Handel, Raubzüge oder gar Krieg, ist ein Sammelsurium von Gegenständen, Kleidung und Bewaffnung aus verschiedenen Regionen und Teilweise Zeiten (man denke an Erbstücke) nicht nur denkbar, sondern auch wahrscheinlich.

Und wer länger dabei bleibt, wird mit der Zeit von sich aus immer authentischer und auch spezifischer in seiner Darstellung.

Und wenn ich das Lager-Feuer mal mit Taschendrachen und Brandbeschleuniger entfache, weil der Veranstalter mal wieder nur frischgeschlagendes Holz geliefert hat und/oder es schift wie sonst was, seis drum!

Zu eng sollte man das ganze eben auch nicht sehen.

In erster Linie stelle ich mich selbst dar.Und erst an zweiter Stelle eine andere Epoche.
Letzten Endes geht es um Spass, Entspannung, etwas Realitätsflucht und um die Einfachheit des Lebens. Aber natürlich ist man auch bemüht dazu zu lernen und in seiner Darstellung immer bessser und authentischer zu werden.
Abergläubisch? - Pah!
1000 Generationen Erfahrung ist kein Aberglaube, sondern gesunder Menschenverstand.
So möge Thor seinen Hammer schwingen Euch allen Vernunft und Weisheit einzubleuen!

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Beitrag von Peter O. Stecher » 12.01.2007, 16:57

Nils, gut gebrüllt !!
Mir gings/gehts ähnlich - jedoch frag ich mich ob nicht auch eine Flucht, ein Verweigern des Alltags auch oft ein Faktor ist - oft kann man sehen dass labilere Leute ganz schlimm reinkippen in gewisse Realitätsverweigerungs-Hobbys.



Ich schließe mich hier, wohlgemerkt nicht aus...vielleicht sind alle BS hoffnungslose Romantiker, Träumer, Nostalgiker - egal ob Indianer, Ritter, Kelte, Hunne, Magyar -- oder Hill-Apostel... ;-) :knuddel
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