Mittelalterliche Rutschgefahr

Fragen und Antworten zu Gewandungen.
Bertram
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Mittelalterliche Rutschgefahr

Beitrag von Bertram » 07.03.2006, 11:13

Moin,

mal ne Frage an alle hier versammelten Gewandmeister:

Wann immer ich auf MA-Märkten oder -Turnieren korrekt Gewandete gesehen habe, haben die mit ihrem Schuhwerk einen großen Bogen um alles gemacht, was auch im entferntesten an eine Steigung erinnerte. Der Grund: die Ledersohlen ihrer Schuhe oder Stiefel waren so glatt wie David Beckhams [navy]Gesicht [/navy] nach Rasur mit dem Drei-Klingen-Vibrator von Gilette. Diejenigen, die brav berauf- und runter latschten, hatten sich Vibram-Sohlen unter die Treter genäht, was ja nun nicht gerade A ist.

Gehen wir nun davon aus (und diese Erkenntnis darf als gesichert gelten) daß sichd as Leben im Mittelalter nicht nur auf der Ebene abspielte: was tat man/frau vor Erfindung des dicken genagelten Sohlenleders respekitve der Profilsohle, um nicht permanent auf der Nase zu liegen?

Ähnliches gilt übrigens für indianische Mokassins - was tat der Rote Mann gegen Rutschgefahr nach Regen???

Ich weiß aus Ungarn, daß man für den Winter Stiefel mit Filzsohlen hat, sogenannte Halinas. Wenn der Filz gegen den Strich auf der Sohle liegt, dann hat man damit guten Halt auf Schnee. Auf Erdmatsch siehts ganz anders aus.

Ich bin gespannt auf Eure Antworten

Bertram

[royalblue](edit: Ärger mit Herrn Beckham vermeiden! Rabe)[/royalblue]
Zwei Dinge sind unendlich: das Universum und die menschliche Dummheit. Wobei ich mir im Hinblick auf das Universum noch nicht ganz sicher bin. (A. Einstein)

HolunderWunder
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beckhams gillator

Beitrag von HolunderWunder » 07.03.2006, 11:24

tachchen der herr.

die gleiche frage stellte ich mir auch, als ich sonntag als aushilfswiki über den jakobsberg gestapft bin ... in herrlich warmen bergstiefeln des späten zwanzigsten jahrhunderts! :motz 8-|
[gefährlicheshalbwissenmode=on]bei den wikis zumindest weiss ich, dass die, wenn mal zu fuss unterwegs, dann hatten sie im winter bei entsprechendem schnee anschnallbare «tourenski» ... ansonsten kutsche, schlitten oder natürlich schiff. aber für den normalen ausflug zum nachbarn, oder wie es bei regen aussah: keine ahnung! bin also selber gespannt...[gefährlicheshalbwissenmode=off]

gruss,
thilo
Konfusius sagt: ich bin durcheinander :wacko :D

Nur eins ist glasklar: alle Bogensch?tzInnen sind Spanner 8-| :D

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Netzwanze
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Beitrag von Netzwanze » 07.03.2006, 11:41

Gegen Ausrutschen helfen sogenannte Trippen. Das sind unter die Schuhe geschnallte Holzsohlen mit zwei klotzartigen Abstandstücken zum Boden. Diese wirken dann fast wie Spikes (könnte man auch mit Nägeln versehen). Jedoch gab es die nicht in allen Zeiten und bei jedem Volk.

Auch Holzklotschen mit Nägeln wären denkbar - auch wenn es sie im EU-MA nicht gegeben haben soll (oder doch? Weiß da nichts genaues).

Eventuell könnten auch dicke Wickel aus Stoff helfen. Die werden aber schnell Nass und schützen dann nicht mehr so richtig gegen Költ.

Christian
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Bertram
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RE:

Beitrag von Bertram » 07.03.2006, 11:45

Original geschrieben von Netzwanze

Gegen Ausrutschen helfen sogenannte Trippen. Das sind unter die Schuhe geschnallte Holzsohlen mit zwei klotzartigen Abstandstücken zum Boden. Diese wirken dann fast wie Spikes (könnte man auch mit Nägeln versehen). Jedoch gab es die nicht in allen Zeiten und bei jedem Volk.




Danke für den Hinweis. Aber: diese Trippen waren m. E. nur dazu da, um halbwegs sicher über die Straße zu gelangen. Was war im Gelände, wo sich das Fußvolk in seiner Gemeinheit und der Jäger bewegten?
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Beitrag von Archiv » 07.03.2006, 11:49

Felle? Könnte das sein? Beim Tourengehen mit Ski werden Felle zum Bergaufgehen unter die Bretter geschnallt. Vielleicht hatte man sowas auch bei Alltagsschuhwerk?
Ansonsten könnte ich mir auch mittelalterliche Vibrams vorstellen: Sohlen aus dickem, harten Nackenleder sollten ein Profil vertragen können...

Bertram
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Beitrag von Bertram » 07.03.2006, 11:57

Original geschrieben von johnny.winter

Felle? Könnte das sein? Beim Tourengehen mit Ski werden Felle zum Bergaufgehen unter die Bretter geschnallt. Vielleicht hatte man sowas auch bei Alltagsschuhwerk?
Ansonsten könnte ich mir auch mittelalterliche Vibrams vorstellen: Sohlen aus dickem, harten Nackenleder sollten ein Profil vertragen können...


Das mit den Fellen habe ich mir auch gedacht - funktioniert ähnlich wie die ungarischen Flzstiefel. Aber: auf Matsch versagt das völlig. Und: der Veruch mit Fellsohlen auf einem Steilen Hang bergab zu gehen endet unweigerlich in einer gigantischen Rutschpartie...
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Nicht wirklich mittelalterlich, aber...

Beitrag von Jojo » 07.03.2006, 12:11

... die ältesten (erhaltenen) Bergstiefel der Welt hatte unser lieber Ötzi. Um ein Ausrutschen zu vermeiden, verlief bei diesen Schuhen ein zusätzlicher Lederstreifen quer über die Sohle. Zusammen mit einem Bergstock soll das im Tiefschnee halbwegs gehen, las ich einstens (genaues Zitat müsste ich suchen).
Hier ein PDF mit Fotos von Rekonstruktionen und weiterer Literatur.

Viele Grüsse, Jojo

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Beitrag von shewolf » 07.03.2006, 13:44

Interessante Frage. Kann nur vermuten:

1. andere Lauftechnik.

Wir laufen Berge rauf & runter einfach so, eben weil wir moderne Sohlen haben. Wirds richtig glatt (oder mit den falschen Schuhen!) muß man anders laufen - Schwerpunkt vor, Füße seitlich kanten, vorsichtiger gehen. Diese Lauftechnik scheint verloren gegangen zu sein.

2. mehr Übung.

Die wenigsten von uns können noch richtig sicher in jedem Gelände und bei jedem Wetter laufen. Wir sind aus der Übung. Frag mal König Shaka Zulu, wie seine Armee barfuß kilometerweit über afrikanische Dornen, Steine & Skorpione gelaufen ist: alles Übungssache. Shaka hatte entdeckt, das harte Füße besser sind als rutschende Sandalen, oder gar fußlahme Soldaten wg. verlorener Sandalen

Ich gestehe: zwei Tage Parcour in der Rhön, und meine zarten Füßchen ächzen empört. 8-) Müßte ich den Parcour jeden Tag laufen, bei jedem Wetter, würden sich Lauftechnik & Ausdauer schnell verbessern.

Letztes Jahr in Storkow sind wir beim Bogenturnier auch geschwommen und gelaufen. Die meisten liefen barfuß über den märkischen Sand. Bergauf im Kiefernwald war das barfußlaufen dann schon ungewohnt, aber alle haben durchgehalten... Gruppendruck und Motivation spielen also auch ein große Rolle. ;-)
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RE:

Beitrag von Netzwanze » 07.03.2006, 14:30

Original geschrieben von shewolf
Wir laufen Berge rauf & runter einfach so, eben weil wir moderne Sohlen haben. Wirds richtig glatt (oder mit den falschen Schuhen!) muß man anders laufen - Schwerpunkt vor, Füße seitlich kanten, vorsichtiger gehen. Diese Lauftechnik scheint verloren gegangen zu sein.

Du irrst. Letzten Sonntag in Jacobsberg wurde diese Lauftechnik von vielen Schützen instrinktiv angewand. Gut, einige haben bei Bergabbewegungen die Kurzskivariante gewählt und sind mit ihren doch so gut mit Profil versehenen Bergschuhen den Berg runtergerutscht.

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RE: RE:

Beitrag von dietze » 07.03.2006, 14:55

Original geschrieben von Netzwanze

Du irrst. Letzten Sonntag in Jacobsberg wurde diese Lauftechnik von vielen Schützen instrinktiv angewand. Gut, einige haben bei Bergabbewegungen die Kurzskivariante gewählt und sind mit ihren doch so gut mit Profil versehenen Bergschuhen den Berg runtergerutscht.

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Niels

Beitrag von Niels » 07.03.2006, 15:06

Auf gesicherter Grundlage lässt sich lediglich und sehr allgemein sagen, im MA wurden wendegenähte Schuhe mit glatter Sohle und gelegentlich auch Trippen getragen. Einfache Bauern werden nicht selten barfuss dargestellt. Die Ötzi-Variante ist auch fürs MA durchaus denkbar.

Wie die Menschen mit dieser aus unserer heutigen Sicht unzulänglichen Ausrüstung im Alltag klargekommen klargekommen sind, werden wir nicht wirklich erfahren.

Nun zu den Spekualtionen:

Die Menschen hatten vielleicht einfach auch nicht den Mobilitätsanspruch, den wir heute haben. Im Winter und bei miesem Wetter wurden die Aktivitäten eben auf das wirklich notwendige Maß reduziert (Stichwort: Vorratswirtschaft) und auf besseres Wetter gewartet (Stichwort: Geduld). So aus Spass an der Freude hat da sicher keiner Bergwanderungen im Winter unternommen. Wenn doch, ging es langsam, war strapaziös und gefährlich, bedeutete auch nasse Kleidung inkl. Schuhe.

Die Schuhe waren Wegwerfartikel. Darauf deuten die verhältnismäßig selten nachgewiesenen Reparaturspuren. Arme Leute werden auch unter Bedingungen, unter denen das für uns heute gar nicht mehr denkbar ist, barfuss gegegangen sein, sei es um die Schuhe zu schonen oder weil sie gerade keine hatten.

Das Problem beim Reenactment besteht darin, dass man bei heutigen Veranstaltungen nicht einfach abwarten kann, bis das Wetter wieder der beabsichtigten Betätigung angemessen ist, dass gute wendegenähte Schuhe nicht billig sind und dass völlig unmittelalterliche Schotterpisten den Sohlen gewaltig zusetzen. Da weicht man dann eben besser aus.

Am besten löst sich dieses Problem aber, indem man sich die richtige Darstellung auswählt und sich einfach auf ein Pferd schwingt. :p ;-) :D

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Beitrag von locksley » 07.03.2006, 16:09

Ich persönlich habe damit keine großen Probleme, auch wenn ich zugeben muss, daß an meinen bisherigen Stiefeln zusätzlich Gummisohlen sind, die sich aber auch nicht durch irgendeine Form von Profil auszeichnen. Mit Bundschuhen ohne Sohle habe ich die Erfahrung gemacht, daß es sich fast wie barfuß läuft, wenn man nur das relativ dünne Leder unter den Fußsohlen hat. Man kann also auch die Zehen als zusätzliche Stütze benutzen.

Meine Sicherheit mit glatten Sohlen führt aber daher, daß ich zwölf Jahre lang fast ausschlisslich "Mantaletten" getragen habe. Auch im Winter und teilweise sogar im Gebirge.

Es ist also alles eine Frage der Übung und der von Shewolf erwähnten richtigen Gehweise an Steigungen. Rutschpartien kenn ich nur unter Alkoholeinfluß in Wiesertsweiler, wo der Boden extrem lehmhaltig und schmierig ist.
Ein grosser Mann wird weder vor dem Kaiser kriechen, noch einen Wurm zertreten (Benjamin Franklin)

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Beitrag von Rado » 07.03.2006, 17:26

>gefährlicheshalbwissenmodus an<:Ich hab mal ne Doku über römische Legionäre gesehen und die hatten kurze Nägel unter die Sohlen genagelt,wieso dann nicht im Mittelalter?Wenn das Sohlenleder zu dünn ist,kann man es doch mehrlagig vernähen.Oder hab ich was falsch verstanden?
>gefährlicheshalbwissenmodus aus<

Niels

Beitrag von Niels » 07.03.2006, 17:42

Hi Rado, nicht alles, was es in der Antike gab, gab es dann auch im MA. Hätte es benagelte Sohlen im MA gegeben, hätte man angesichts des Materials Überreste finden müssen. Hat man aber meines Wissens nicht. Außerdem trugen die römischen Legionäre soweit ich weiss Sandalen, also was ganz anderes als mittelalterliche wendegenähnte Schuhe.

Lockleys Erfahrung mit dem dünnen Sohlenleder kann ich nur bestätigen. Man läuft, als ginge man barfuss und mit ein wenig Übung kann man die Zehen auch zum Klammern einsetzen.

Harbardr
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aufpassen...

Beitrag von Harbardr » 07.03.2006, 18:07

...mit dem "Überbegriff Mittelalter", da tummeln sich'n paar Jahrhunderte. :-(

Das Trippenzeuchs z.B.gehört in's Hochmittelalter! Drum mag meine Aussage nur für's Frühmittelalter stehen.

Ich habe nur wendegenähte Schuhe aus dem Frühmittelalter (nach Funden um Haithabu u. Ribe) u. hatte bisher (fast) keine Probleme mit dem Rutschen. Ist schon so, daß das Laufen in diesen Tretern was ganz was Anderes ist, als mit gesohlten, o. genagelten.
Eine kurze Zeit der Umstellung tut da schon not.

Die Schuhe wurden auch nicht, wie heut zu Tage, beizeiten weggeworfen, sondern (Funde belegen dies auch) mehrfach geflickt.
Meist unter den Ballen, o. der Ferse durchgelaufen, wurde an diesen Stellen ein Lederstreifen, o. Flecken aufgenäht, die sich dann beim Laufen im Gelände sehrwohl auch als nützlich erwiesen haben könnten.
Ansonst ist Locksley's Ausführung nicht's hinzuzufügen. :knuddel

Wer's denn gerne "naap" möchte kann sich auch die Ledersohlen mit Gummi beschlagen lassen, nur, ob's dann weniger rutschen tut, sei dahingestellt.

Die Nagelung von Schuhsohlen im germanischen Bereich mag mir (abgesehen von den eingeführten römischen Schuhen) weitgehenst unbekannt sein.

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