Zugstärken älterer Bögen

Alles über das Mittelalter.
shortRec
Hero Member
Hero Member
Beiträge: 573
Registriert: 09.07.2006, 12:29

Beitrag von shortRec » 13.12.2006, 19:06

Noch mal ein paar Überlegungen zum Thema Zugegewicht und Schußfrequenz.
Aus dem Krafttrainingsbereich ist seit gut dreißig Jahren bekannt (und entsprechend empirisch untersucht und belegt), dass ein Muskel oder eine Muskelgruppe bei 70% ihrer Maximalkraft ca. 12 dynamisch-konzetrische Kontraktionen durchführen kann, ehe sie vollständig ermüdet. D.h., der Sportler kann mit dem besten Willen und unter Mobilisierung der letzten Kräfte keine weitere Kontraktion bewirken (bei gegebener Last).
Dies lässt sich gut auf einen Bogenschützen übertragen, der eine hohe Frequenz schießt. Gehen wir gnädig mit dem Schützen um und nehmen wir an, dass er bei 70% seiner Maximalkraft 15 Wiederholungen schaft, ist er nach 45sec. damit fertig und im Bereich der Schießmuskulatur vollständig ermüdet und braucht zur vollständigen Erholung je nach Trainingszustand mindestens zwei Minuten.
Aus diesen physiologischen Gegebenheiten wird ersichtlich, dass 200lbs Bögen nicht für einen hochfrequenten Beschuss gegnerischer Verbände in Frage kommt. Damit ein Schütze in der Lage ist, einen 200lbs Bogen 15mal in Folge zu schießen, mit etwa einem Schuß pro 3-5sec. müsste der in der Lage sein, einen 285lbs zu schießen. Ok, nur einmal, aber immerhin. Schaut man sich mal die Strongmen an (das sind die Jungs, die Abends im Sportfernsehn Traktorreifen rollen, Betonkoffer schleppen, LKW ziehen etc.) hat man in etwa ein Bild von Menschen, die körperlich zu solchen Leistungen in der Lage währen. Selbst diese Kraftsportler währen nach etwa einer Minute nicht mehr in der Lage, den 200lbs Bogen zu spannen. Beim Übertrag auf das Mittelalter darf nicht vergessen werden, dass der heutige Kraftsportler neben einer ausgezeichneten Trainingssituation eine Ernährungssituation vorfindet, die im Hochmittelalter wenn überhaupt nur ganz wenigen Menschen zugänglich war. Diese ist als wesentliche Grundlage dafür zusehen, dass dem Körper die nötige Energie für das entsprechend aufwendige und harte Training zu liefern. Mit anderen Worten: Es scheint kaum möglich, dass mehrere hundert Schützen mit entsprechenden körperlichen Vorraussetzungen rekrutiert, ausgebildet und unterhalten werden konnten.
Viel eher ist von Zuggewichten im Bereich von 100lbs-120lbs auzugehen. Bei 120lbs und der geforderten Frequenz von 15 Schuß in 3/4 - 1 Minute müsste der Schütze immernoch in der Lage sein, einen etwa 170lbs starken Bogen ziehen zu können. Zwar auch nur einmal, aber das scheint machbar. Wenn ich mich recht erinnere stellte ein gewisser Howard Hill mit 174lbs einen Zuggewichtsrekord auf. Hill war kein besonders kräftig gebauter Mann, hat aber viel Richtung Bogenschießen trainiert, so dass davon ausgegangen werden kann, dass wenige Schützen die 180lbs überhaupt erreichten - beim einmaligen Ausziehen.

Ok, ein wenig OT, hilft aber vielleicht weiter.

belabear
Jr. Member
Jr. Member
Beiträge: 97
Registriert: 06.08.2003, 23:46

Zugstärken

Beitrag von belabear » 13.12.2006, 20:39

hallo,

also die aktuelle weite von nigel canning, siehe fraternity of st. george, ist 301 yards mit einem 120 lbs langbogen.

bei den roving clouts der fraternity sind 100-140 lbs bögen keine seltenheit und ich habe mit meinem 100 er keine probleme ein clout zu schiessen, also 3 std am vormittag, dann mittagspause, dann 3 std am nachmittag, oder beim training 9 pfeile zu schiessen, zu ziehen, zu schiessen und so weiter, aber nach zwei bis drei stunden spür ich dann meine muskeln.

und das alles sind leistungen von hobby schützen, nicht vergleichbar mit jemandem, der den bogen in die hand gedrückt bekommt, gleich nachdem er laufen gelernt hat.

da ist sicher noch einiges drinnen!

auch darf man nicht vergessen, dass die englischen bogenschützen vor agincourt oder crecy in wellen geschossen haben, also in gruppen, sodass die möglichkeit bestand sicher mal auszuruhen, und der beschuss dauerte auch sicher nicht lange, bis alle pfeile verschossen waren!

auf der mary rose wurden bögen zwischen 110 und 185 lbs gefunden, was bedeutet, dass diese auch gezogen wurden, von männern, die von kindheit an damit trainierten....

zum abschluss möchte ich auf ein buch eines freundes verweisen: die schlacht bei agincourt, von dr. johann baier, erhältlich beim verlag hörnig

lg.
belabear
Herold of the Fraternity of St. George-Austrian Chapter

Benutzeravatar
mbf
Hero Member
Hero Member
Beiträge: 1539
Registriert: 01.09.2004, 11:14

Beitrag von mbf » 13.12.2006, 21:47

@belabear
Du hattest aber auch eine bessere Verpflegung als die historischen Bogenschützen, eine bessere Nacht hinter Dir und das die letzten 30 Tage lang...

@Scar
Gute Leistung, aber jetzt Vorsicht mit der Milchmädchenrechnung, dass ein doppelt so starker Bogen auch doppelt so weit wirft. Irgendwann ist das Material eben an der Grenze angekommen.
Der Pfeil fliegt hoch, der Pfeil fliegt weit.
Warum nicht - er hat ja Zeit!
-- Modifiziert nach einer Vorlage von Heinz Erhardt

belabear
Jr. Member
Jr. Member
Beiträge: 97
Registriert: 06.08.2003, 23:46

Zugstärken

Beitrag von belabear » 13.12.2006, 22:25

@mbf

:D stimmt stehe gut im futter, aber ich trainiere nicht annäherend nach mittelalterlichem standard!

und training ist so ziemlich alles... und talent natürlich!

und ich glaube beides war vorhanden

lg.
belabear
Herold of the Fraternity of St. George-Austrian Chapter

Benutzeravatar
locksley
Global Moderator
Global Moderator
Beiträge: 5775
Registriert: 06.08.2003, 23:46

Beitrag von locksley » 13.12.2006, 23:28

Zum Thema Ernährungslage und Training. Man muß klar trenen zwischen Crecy und Acingcourt. Zwischen diesen Schlachten lagen 80 Jahre. Bei Crecy waren die Engländer klar im Nachteil. die Armee zog schon monatelang durch ein Frankreich der verbrannten Erde, bzw. sie wurden von den Franzosen auf der Seite der Seine gehalten auf der es nichts zu holen gab. Auch die Bogenschützen hätten bei Crecy nichts ausgerichtet, wenn nicht dier Taktik der englischen Heerführer aufgegangen wäre. Nämlich daß die Franzosen und ihre Verbündeten die geschwächten Engländer, die von Ihrem Nachschub abgeschnitten waren einfach unterschätzt haben. Rein bogentechnisch hatte nämlich jeder Bogenschütze nur noch 24 Pfeile. Damit wurden vor allem die Genueser Armbrustschützen ausgeschaltet. Der Hauptansturm der französchisch/tschechischen Kavallerie wurde von in den Hügel gegrabenen Löcher gestoppt. Dann hatten die Bogenschützen mit den übrigen Pfeilen die Möglichkeit die Reihen weiter auszudünnen. Ab dann war es eine für das Mittelalter absolut untypische Schlachtführung von Seiten der Engländer die den Sieg erzwang. Alle Engländer wurden als Infantrie benutzt auch die Ritter und die übrigen französischen Reiter ritten gegen eine Schildwand an und es gab den klaren Befehl keine Gefangenen. Dadurch wurde z.B. auch der tschechische König getötet, der normalerweise gefangen genommen worden wäre und gegen hohes Lösegeld wider feigelassen. Zudem wurden die Engländer dadurch begünstgt, daß die Franzosen entgegen aller damaliger regeln am Nachmittag angriffen und es nur drei Stunden Tageslicht gab.

Agincourt dagegen wurde von den Bogenschützen beherscht, die voll ausgebildet und geschont, das französische Heer quasi mit einer Pfeilwolke, die Chronisten zufolge den Himmel verdunkelte, eingedeckt. Das darauffolgende Chaos ermöglichte es das französische Heer aufzureiben.

Später während der Rosenkriege hat diese Taktik der Engländer, als sie gegeneinander kämpften, dazu beigetragen, daß das feudale System in England ausgelöscht wurde, weil nahezu der gesamte Erbadel ausgelöscht war, als Langbogenschützen gegen Langbogenschützen antraten.
Ein grosser Mann wird weder vor dem Kaiser kriechen, noch einen Wurm zertreten (Benjamin Franklin)

Wenn das Atmen schwieriger waere, haetten wir weniger Zeit um Unsinn zu reden.

Wer die Wahrheit sagt, braucht ein verdammt schnelles Pferd (Sprichwort)

Benutzeravatar
Peter O. Stecher
Hero Member
Hero Member
Beiträge: 2358
Registriert: 21.03.2005, 09:16

Beitrag von Peter O. Stecher » 14.12.2006, 10:06

SCAR - Beweisen !!! Das glaub ich nicht !! Und wenn der Bogen 10fach belegt ist.....es zählen nur gemessene Distanzen keine subjektiven Schätzungen. Oben hat jemand 300 yrds gepostet mit 120# geschossen...

Soll keine Beleidigung oder Unterstellung sein, aber da möchte ich Bogendaten, Pfeildaten etc.wissen.


PS: HIll war ein Sportler, er war Football Halbprofi, Golftrainer und Baseballspieler, er war körperlich gut beinander.
https://classic-archer.com/

shortRec
Hero Member
Hero Member
Beiträge: 573
Registriert: 09.07.2006, 12:29

RE:

Beitrag von shortRec » 14.12.2006, 15:33

Original geschrieben von Negley


PS: HIll war ein Sportler, er war Football Halbprofi, Golftrainer und Baseballspieler, er war körperlich gut beinander.



@Negley: Mit "nicht kräftig" meinte ich seine Statur, sein Erscheinungsbild. Dass der Kerl ganz gut im Saft stand ist schon klar.

belabear
Jr. Member
Jr. Member
Beiträge: 97
Registriert: 06.08.2003, 23:46

Zugstärken

Beitrag von belabear » 15.12.2006, 17:00

@negley
also ich ziehe, mittlerweile seit jahren, einen 100er, kannst gerne in stockerau vorbeikommen und ausprobieren.

nigel canning, dessen weiten ich angebe, siehe link fraternity of st.george, zieht einen 120 pfünder, aber vielleicht sehen wir dich ja nächstes jahr auf einem der roving clouts....

und nigels bogen ist definitiv nicht unbedingt einer der stärksten bögen

siehe Worlds strongest Bowman

mal sehen ob ich dir nicht noch mehr infos nachliefern kann!

lg.
belabear
Herold of the Fraternity of St. George-Austrian Chapter

Benutzeravatar
Peter O. Stecher
Hero Member
Hero Member
Beiträge: 2358
Registriert: 21.03.2005, 09:16

Beitrag von Peter O. Stecher » 16.12.2006, 08:17

Belabear, ich wollte die 300yrds mit 120# den 300Metern mit 45# gegenüberstellen (sehnenbelegter Bogen) nicht Deine Daten der Fraternity of St. George....die glaube ich schon -- kannst aber auch einmal zu uns kommen nach Lockenhaus, ich hab eine 140# glaslaminierten Bogen - nur kann den niemand ziehen..... 8-| :-o :D :D :D
https://classic-archer.com/

belabear
Jr. Member
Jr. Member
Beiträge: 97
Registriert: 06.08.2003, 23:46

Zugstärken

Beitrag von belabear » 16.12.2006, 21:27

@negley

lockenhaus ist von stockerau ja erreichbar.... so einigermassen ;-)

kann den 140 er ja mal ausprobieren... ziehe ihn wahrscheinlich aber nicht ganz.... aber bei meinem 100 er habe ich auch mit einem anker vor dem gesicht begonnen, und mich dann bis zum ohr nach hinten gearbeitet

man darf sich vom bogen nur nicht unterkriegen lassen!! :o

und nochmal an aller:

die reise nach england, in zeiten von air-berlin und ryan air leistbar, kann ich euch trotzdem ans herz legen, zum mitschiessen gehört aber ein engl. langbogen, den man sich notfalls dort ausborgen kann, denn ich habe erlebt, dass jemand mit einem 28 lbs langbogen und lebenslanger erfahrung im schiessen und bogenbauen, ron palmer, beinahe so weit schoss wie nigel canning mit seinem schweren bogen!!
und ein wochenende mit den teils skurilen engl bogenschützen ist wirklich etwas was man erleben muss!!!

genug der werbung.... selbst ansehen ist die devise!

lg.
belabear
Herold of the Fraternity of St. George-Austrian Chapter

Benutzeravatar
Peter O. Stecher
Hero Member
Hero Member
Beiträge: 2358
Registriert: 21.03.2005, 09:16

Beitrag von Peter O. Stecher » 18.12.2006, 08:37

Belabear, ich hab die Erfahrung gemacht dass Schußweite und auch Durchschlagskraft sehr vom Release und vom ganzen Schießtiming abhängig ist - bzgl. 28# und auch beinah so weit wie die stärkeren Bögen.....
https://classic-archer.com/

Eldoro
Hero Member
Hero Member
Beiträge: 629
Registriert: 08.01.2006, 16:55

Beitrag von Eldoro » 19.12.2006, 16:27

Original geschrieben von Steini



@Negley
Ich schätze schon, das mit einem Horn/Sehne-Komposit-Bogen höhere Pfeilgeschwindigkeiten als mit einem Holzbogen aus einem Stück Baum möglich sind. Und das in Kombination mit einem Flight-Pfeil, wer weiss.
Aber 900m, wenn der Compound auf 1062 Meter kommt, scheint mir dann doch etwas arg übertrieben.

Steini



900 m scheinen mir auch ein bischen übertrieben, aber die Türkischen BS hatten einen Siper und extrem leichte Flightpfeile.
Deren Bögen waren auch extrem Kurz und reflex.
Nach der TBB 3 sollen schwerere Flightbögen langsamer gewesen sein als leichtere ( in gewissermaßen ), was ich aber nicht so ganz nachvoll ziehen kann :-)
Juhhuuu, neues UsErBiLd .......

LaCroix
Hero Member
Hero Member
Beiträge: 552
Registriert: 25.02.2005, 15:27

Beitrag von LaCroix » 20.12.2006, 09:55

@eldoro Wird wohl an der Bogeneffizienz liegen.

Wenn das Zuggewicht steigt, aber der Pfeil ultraleicht ist, wird irgendwann der Punkt erreicht, wo ein schwererer Bogen den Pfeil nichtmehr besser beschleunigen kann.



Die ~900m sind zwar viel, aber ich hab in diversen Büchern über Francis Drake immer wieder gelesen, das zu seiner Zeit die an Bord stationierten Bogenschützen die gegnerischen Schiffe ab ~500 yards unter Beschuß nahmen.

Wäre das möglich, wenn man bedenkt, das man da auf ungepanzerte Matrosen schoss, und nicht auf gepanzerte Soldaten wie in den bekannten "Bogenschlachten", und deswegen ev. leichtere Pfeile verwendete?
temporarily out of order

Benutzeravatar
Steini
Hero Member
Hero Member
Beiträge: 909
Registriert: 02.01.2005, 17:50

Beitrag von Steini » 20.12.2006, 10:44

Ich bezweifle die 500 yards stark.

Aber mit absoluter Sicherheit hat niemand auf diese Distanz auf einen ungepanzerten Matrosen geschossen. WENN die Entfernung möglich gewesen wäre, hätten die meisten Pfeile bei der Entfernung, und den auf dem offenen Meer üblichen Windstärken, wahrscheinlich nicht mal das gegnerische Schiff getroffen. Das wäre Pfeilverschwendung.

Die alten Engländer haben nicht umsonst auf 180 yards geübt.

Steini

Eldoro
Hero Member
Hero Member
Beiträge: 629
Registriert: 08.01.2006, 16:55

Beitrag von Eldoro » 20.12.2006, 13:25

Original geschrieben von LaCroix

@eldoro Wird wohl an der Bogeneffizienz liegen.

Wenn das Zuggewicht steigt, aber der Pfeil ultraleicht ist, wird irgendwann der Punkt erreicht, wo ein schwererer Bogen den Pfeil nichtmehr besser beschleunigen kann.




Aha, und weshalb ? :-)
Ab wann meinst du, könnte dies der Fall sein ?
Ich kanns mir nicht so gut vorstellen, evtl. durch die höhere Masse der WA´s die benötigt werden für einen stärkeren Bogen .
Juhhuuu, neues UsErBiLd .......

Antworten

Zurück zu „Mittelalter Allgemein“