Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Bogenschiessen in der Praxis, mediterran, Daumentechnik u.a.
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benzi
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Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Beitrag von benzi » 10.11.2013, 17:49

Hallo zusammen,

für viele ein sinnloses Untergangen: die Beschäftigung mit historischen Texten und alten Bildern.
Wenn wir uns einer so komplexen Technik wie der der Daumentechnik wirklich nähern wollen, also letzlich vestehen wollen, wie was warum gemacht wurde, dann kommen wir meiner Meinung nach nicht um die Beschäftigung mit alter Literatur und dazu ergänzend mit alten Abbildungen, aus.

Diese Text und Abbildungen können leider (oder Gott sei dank) sehr unterschiedlich interpretiert werden.

Dieser thread soll die Plattform dafür bilden, einzelne Technikelemente aus alten Texten oder Abbildungen genauer zu betrachten und gemeinsam zu interpretieren.

Ein Punkt auf den ich gerade gestoßen bin ist folgender:

Wenn mein Bogenarm im Vollauszug bereits zu Ende gestreckt ist, ist es praktisch unmöglich eine Vorwärtsbewegung im Abschuss auszuführen, meine Schlussfolgerung daraus: nur wenn mein Bogenarm im Vollauszug noch Reserven hat, kann ich eine echte Bewegung nach vorne ausführen. Die Grafik dazu ist diese hier:
saracen1.jpg

Diese Zeichnung ist eine Interpretation aus 1970 von Latham/Paterson eines Textes aus dem 14. Jrh. (Saracen Archer S. 133)
Ich hab nun mein Augenmerk mehr auf die Haltung des Bogenarmes als auf das Kippen des Handgelenkes gelegt und mich gefragt, wie tatsächliche eine Vorwärtsbewegung zustande kommen kann.

Das ist natürlich nur meine Interpretation ohne Anspruch auf Wahrheit und ich freue mich über andere mögliche Sichtweisen!

liebe Grüße benzi
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Anschi
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Re: Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Beitrag von Anschi » 11.11.2013, 12:05

Hey Benzi.

Also ich hab ja gar keine Ahnung vom Daumenschießen. Ich betrachte jetzt also nur dieses eine Bild und schreibe mal was ich sehe:
Der Bogenarm ist fast ausgestreckt.
Die Bewegung nach vorne und der Raum für die Drehbewegung kommt meines Erachtens aus de gesamten Körper und nicht aus dem Bogenarm.
An der "Rückenlinie" erkennt man, dass der ganze Kerl sich in den Schuss nach vorne hineinlegt und auf diesem Weg nach vorne die Bewegung mit dem Bogenarm ausführt.

Also soweit man es aus 2 Bildern herleiten kann, finde ich, dass es aussieht als sei es eine Bewegung des gesamten Körper während des Lösens und nicht nur eine Bewegung die der Bogenarm macht. Der Bogenarm scheint vielmehr der Bewegung des Körpers zu folgen.

Ist nur meine Sicht der Dinge, da bleibt unendlich viel Spiel für Interpretation. Und wie gesagt, von Daumentechnik hab ich nur rudimentäres Wissen ;)

Liebe Grüße, Diana

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Martin65
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Re: Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Beitrag von Martin65 » 11.11.2013, 12:23

Hi Benzi,
guter Ansatz den Du da gefunden hast.
Allerdings kann ich aus persönlichen Erfahrungen nicht zustimmen. Sieh Dir mal das Video an. Ich denke, dass mein Bogenarm gestreckt ist, das lösen dennoch dynamisch erfolgt... Wie Diana sagt: es geht um den ganzen Körper.
Das mag aber vielleicht nur für mich so sein, ein anderer schafft das auch mit gekrümmtem Bogenarm...

https://www.youtube.com/watch?v=n-8E24Y9Jjc

Viele Grüße,
Martin

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Re: Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Beitrag von Anschi » 11.11.2013, 13:06

Hallo Martin.

Bei dir in dem Video bleibt der Oberkörper aber relativ ruhig, dieses "nach vorne Lehnen" was man auf dem Bild sieht passiert bei dir "kaum". Deine Rotation und Kippbewegung passiert so wie ich das sehe aus einer minimalen Drehung der Hüfte (schwer zu sehen, weil nur ganz wenig) und einer konsekutiven Drehung des Oberarmes durch die Rotatorenmanschette der Schultermuskulatur und einer daraus folgenden Pronation des Unterarmes und Handgelenkes.

Falls ich irgendwie anfange unverständliche Begriffe zu gebrauchen, einfach Bescheid sagen. Ich weiß ja nicht wieviel Gedanken ihr euch im Rahmen der Daumentechnik um die Anatomie des Körpers gemacht habt und inwiefern ihr die Ausdrücke kennt.

Liebe Grüße, Diana

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Re: Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Beitrag von Martin65 » 11.11.2013, 13:39

Hi Diana,

...Du klingst wie meine Physiotherapeutin ;D Im Rahmen der Daumentechnik hab ich mir keine Gedanken um meine Anatomie gemacht... ich kann Dich aber trotzdem verstehen ;)
auch wenn mein Oberkörper relativ ruhig bleibt, baut er doch ausreichend Spannung auf und es scheint zu funktionieren...

Liebe Grüße
Martin

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Re: Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Beitrag von Anschi » 11.11.2013, 13:47

Hey Martin.

Genau das meine ich ja, ich bin zwar keine Physiotherapeutin, dafür aber Kinderchirurgin. Da driftet man schonmal in ein etwas anderes Vokabular ab XD einfach weil man damit präziser beschreiben kann was man meint. Aber solange ihr mich ja versteht ist es in Ordnung.

Genau, dein Oberkörper bleibt relativ ruhig, aber die Kraft, die durch das Lösen des Pfeil entsteht überträgt sich bei dir, beginnend in einer minimalen Bewegung des Oberkörpers in eine größere Bewegung des Arms.
Das ist jetzt nicht das was man auf Benzis Bild sieht, ich denke, der bewegt sich viel "bewusster" mit dem Pfeil mit nach vorne, während bei dir, denke ich, die Bewegung wahrscheinlich eher unbewusst passiert.

Egal wie, ich denke, dass diese Dreh-Kipp-Bewegung auf alle Fälle mit gestrecktem Arm funktioniert, da sie aus dem Oberkörper und nicht nur aus dem Bogenarm kommt.
Das belegt sowohl dein Video, als auch in meinen Augen das Bild, das Bezi gepostet hat.

Liebe Grüße, Diana

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Re: Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Beitrag von benzi » 11.11.2013, 14:30

Hallo Diana und Martin,

spannende Diskussion!

@Diana Ich hatte Dich vermutlich in Deinem ersten Beitrag missverstanden: meinst Du mit nach vorne in Richtung Pfeilschuss? Ich dachte zuerst an ein "in den Schuss hinein" nach vorne, im Falle des Bildes in Richtung des Betrachters. Mein erster Gedanke war daher, ja genau, wie kann sie das aus diesen Bildern ableiten........

was ich meinte, wird hier ziemlich gut deutlich:

http://www.kyudo-sum.de/heki-technik/tai-no-warikomi.html

Bleibt die Frage: ist ein tatsächlicher "Raumgewinn" in Richtung Ziel möglich, wenn der Bogenarm im Vollauszug bereits voll gestreckt ist, ich denke immer noch nein.... daraus leite ich auch ab, warum eine gute Dreh-Kippbewegung oder schlicht jede Daumentechnik, mit leichtem Bogen deutlich besser umgesetzt werden kann, nämlich aus meiner Sicht deshalb weil dann der Bogenarm nicht schon voll ausgestreckt werden muss um das Zuggewicht zu bewältigen.

@-Diana wie sich der Abstand Körpermitte-Bogengriff nach dem Lösen vergrößern kann, wenn der Bogenarm bereits davor gestreckt ist, hab nicht verstanden, aber ich bin bekanntlich etwas begriffsstutzig...... ;D

liebe Grüße benzi
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Re: Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Beitrag von Anschi » 11.11.2013, 15:05

@Benzi: Ja ich meine in Richtung des Pfeilschusses.
Erstes Bild: Gerade Rückenlinie
Zweites Bild: Rückenlinie verläuft von unten links nach rechts oben auf dem Bild. Also scheint mir, dass der Mann auf dem Bild sich mit dem Oberkörper, oder auch gesamten Körper, mit in Richtung des Pfeiles bewegt. Auch daran erkennbar, dass sein Kopf auf dem unteren Bild ein Stück weiter vorne ist.

Zu der Vergrößerung des Abstandes gibt es 2 Möglichkeiten:
1. Sie findet nicht statt! ;) Aber durch das Nach-Vorne-Bewegen gibt es einen Impuls, der über die Muskeln in die Bewegung des Drehens und Kippens umgeleitet wird.
Ein anderes Beispiel hierfür ist bei Tai-Chi, bei dem im Schwerttraining eine Drehung des Schwertes im Handgelenk durch eine Bewegung der Hüfte ausgelöst wird.
2. Sie findet statt! ;) Und zwar durch die Mitdrehung des Oberkörpers.
Ich versuches es mal zu erklären: Stell dich mal mit dem Bogen hin und miss desn Abstand zwischen dem unteren Ende des Brustbeines (Körpermitte) und deinem Bogengriff. Dann Drehe den Arm in der Schulter (!) und lass daraus die Dreh und Kipp-Bewegung des Handgelenkes resultieren. Durch die Rotation der Schulter nach außen wird dieser Weg dann etwas länger sein.
Das ist im Prinzip das was Martin in dem Video macht.

Wenn die Bewegung nicht durch Drehung des Oberkörpers und der Schulter eingeleitet wird und du nur (!) durch Drehung und Kippen des Bogenarmes die Bewegung auslösen willst (auch ohne dich in den Schuss zu legen, wie auf deinem Bild und ohne Schulter und Oberkörper einzusetzen) dann wird deine Bewegung sicherlich größer und deutlicher, wenn der Bogenarm nicht ganz gestreckt ist.

IN der Hoffnung, dass das irgendwie verständlich war ;)
Liebe Grüße, Diana

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Re: Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Beitrag von Joris B » 12.11.2013, 09:36

@ Anschi Wird den 'gestrekten' arm nicht auch 'eingedrückt' beim Aufspannen/ schieSen? Es wird fieleicht in etwas kleinere Dinge die Antwort deutlicher werden... den Handgelenck ist etwas gedreht, den elbogen, Schulter... (entschuldige fürs Deutsch:/)

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Re: Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Beitrag von benzi » 12.11.2013, 10:29

vllt mal ergänzend die entsprechende Textstelle des Textes von 1368 in der Übersetzung von 1970:

"It is a proven fact, that the action must be strongly executed and come from wrist-joint like the punch of a man in anger"
Saracen Archery S. 68

Kann ich denn einen Schlag ausführen wenn mein Arm schon gestreckt ist?

Grüße benzi
Zuletzt geändert von benzi am 12.11.2013, 14:00, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Beitrag von corto » 12.11.2013, 12:15

ich raff aber schon garnicht wo der wrist-joint, also der handgelenksansatz bei einem harten punch zum einsatz kommt.

kannst du nen satz davor und danach einstellen, so das ersichtlich wird was "the action" da genau ist? immerhin ist es "proven" :D

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Re: Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Beitrag von Sateless » 12.11.2013, 12:42

Ja, man kann aus dem Bild viel mehr Körperarbeit ableiten. Wie sinnvoll sind die für unser Scheibenschießen?
Hier ne unvollständige Liste mit meiner Wertung:
- gebeugter Bogenarm-Ellenbogen, bringt erst in der Kombination mit dem ganzen Oberkörper mehr Pfeilgeschwindigkeit auf kosten der Präzision. Das ist sicher sinnig, wenn ich jedes bischen Pfeilwucht brauche, um durch eine gute Rüstung zu kommen, für Gummitiere braucht man es nicht. Genau wie den gesprungenen Ablass.
Ansonsten ist der gebeugte Ellenbogen halt auf nem anderen Bild klar gezeigt, warum rätseln? Steht dazu was im Text?
- eine Bewegung, um den Pfeil gerade zu beschleunigen, ohne dass der Bogengriff nervt: Essentiell.

Ein Bild ist meiner Meinung nach nur so gut, wie das Verständniss des Urhebers. Es kann Details genau zeigen, wenn diese genau angesprochen werden. Der rest kann, muss aber nicht stimmen.

PS: Benzi, das Ding heißt Saracen Archery oder redest du von nem Buch, das ich nicht kenne?
Ich schreibe ohne Autokorrektur lesenswerter. Du etwa auch?
.مع سلامة في أمان السهم و القوس

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Re: Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Beitrag von Martin65 » 12.11.2013, 12:43

benzi hat geschrieben:Kann ich denn einen Schlag ausführen wenn mein Arm schon gestreckt ist?


Klar, der Schlag heisst "Jab"

Quelle: Wikipedia
"Der Jab ist ein schneller, aber nicht besonders harter Schlag. Seine Kraft kommt vor allem aus dem Trizeps und Brustmuskel und wird anders als bei den Power Punches nicht durch einen Impuls aus Oberkörperdrehung und Beinarbeit verstärkt. Nur selten geht ein Boxer nach einem einzelnen Jab zu Boden. Man spricht dann meist von einem Glaskinn, also mangelnden Nehmerqualitäten im Kopfbereich."

Aber damit glaube ich kommen wir wieder bisschen vom Thema ab... Frage war ja ob man so eine Kipp-Drehbewegung auch dynamisch, trotz gestreckten Arm hinbekommt. --> Ja, das geht.

Viel Spass beim schlagen...
Grüße, Martin

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Re: Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Beitrag von corto » 12.11.2013, 13:43

hi martin !

ja der jab kam mir auch in den Sinn, aber wie du schon schriebst ist er ja eher ein leichter schlag, mehr zum vorfühlen des eigentlichen punches - soweit mein Boxerlatein ^^

der englische text spricht aber doch von einem schlag wie ihn ein "angry man" schlagen würde, und das ist dann entweder eine gerade oder ein haken - aber kein jab.

die differenzierung, das der jab aber ohne körperdrehung geschlagen wird passt wieder sehr gut zu dem was unsere Bogenhand macht...

fragen über fragen ;)

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Re: Daumentechnik, historische Texte und Abbildungen

Beitrag von Idariod » 12.11.2013, 15:26

interpretiert mal in den angry man nicht zu viel rein...ein wütender Schläger ohne Erfahrung bringt Schwinger, keine Haken und kaum Gerade.
Davon abgesehen denke ich, dass der Unterschied zwischen "den Arm nach vor stoßen" und "eine Bewegung wie einen ernst gemeinten Fauststoß durchführen" sich vor allem in zwei Dingen unterscheidet:

Der Körperspannung und der Haltung/Versteifung des Handgelenks durch den erwarteten Einschlag.

Wenn ihr euch mit Kampfsport (ganz egal welcher) mal beschäftigt habt, wisst ihr vielleicht dass richtig Schlagen (wie halte ich die Finger, wie und wie weit sollte der Armg gestreckt werden, wie soll ich das Handgelenk halten) meistens erst mal gelernt werden muss. Hat man die falsche Spannung im Arm/hält man das Gelenk falsch, tut man sich bei festen Widerständen (schwerer Sandsack/Gegner) ganz schnell weh.

Hilft euch vielleicht nicht in der Diskussion weiter, aber ich wollte aufzeigen, dass da noch Spielraum für Interpretation drin ist.
Teile dein Wissen und gib nicht vor zu wissen was du nicht weißt - ein guter Ratschlag von einem tüchtigen Tischler. Das steht hier um mich daran immer zu erinnern, und für alle denen der Schuh passt.

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