Kyudo zwischen Tradition und Kult
Verfasst: 12.07.2009, 16:26
Daß kyūdō, so wie es sich dem Außenstehenden darstellt, als Kult erscheinen kann, verstehe ich nur zu gut. Daß ich seit längerem deutlich gegen seine Vereinnahmung durch moderne esoterische Phantasiekonstrukte a la Herrigel und Epigonen argumentiere, dürfte denen klar sein, die hier seit einiger Zeit mitlesen.the_Toaster hat geschrieben: Die Methapher beinhaltet aber auch, dass wenn etwas zum Kult/zur Überanpassung und damit in gewisser Weise zum Selbstzweck wird, das sowohl für Außenstehende als auch für die Hüter des Kultes auf Dauer wenig erquicklich wird. Sprich die Gefahr ist hoch, dass der Kult ausstirbt, wenn interessierte Außenstehende durch, für den Außenstehenden unverständliches, Verhalten der Involvierten vergrault wird.
Ein offenes aufeinander zugehen macht es da für alle Seiten wesentlich leichter.
Kyūdō ist aber Teil der japanischen Kultur und als solcher nicht einfach ein Sport, definiert durch international anerkannte Wettkampfregeln - wobei das Training dann entweder die ernsthafte Vorbereitung auf Wettkämpfe oder "bloß" Breitensport wäre. In seiner modernen Form, wie sie nach dem Krieg von der ANKF standardisiert wurde, ist es ein gendai budō, definiert durch die Budocharta: http://www.nipponbudokan.or.jp/shinkoujigyou/budochater.html
(Deren historisch durchaus zweifelhafte Annahmen, wie die Vorstellung einer zeitlichen Entwicklung von jutsu zu dō will ich hier nicht diskutieren.)
In der Form, wie es in Deutschland 1969 von Professor Inagaki eingeführt und heute von den meisten ausgeübt wird, ist kyūdō sogar eine koryū, also eine "alte Schule": Unser Zweig, die Heki Tō Ryū, auch Heki Ryū Insai Ha genannt, geht über seinen Begründer, den Bogenlehrer des ersten Tokugawa shōgun um 1600 bis auf den halblegendären Schöpfer der Heki Ryū am Ende des 15. Jahrhunderts zurück.
Zum immer wieder mißverstandenen Verhältnis zwischen kyūdō und Weltanschauung / Religion zitiere ich mich mal eben selbst:
Damit stehen wir in einer Tradition, die nicht bloß eine 500 Jahre alte Schießtechnik bewahrt (und damit den Bogenbauern Absatz und Überleben ihrer Traditionen ermöglicht), sondern auch mit zentralen Institutionen der japanischen Gesellschaft verflochten war und ist. Aus diesen Rahmenbedingungen folgt, daß wir uns als höchst freiwillige Teilnehmer dieser Tradition verpflichtet fühlen und in dem Maße, in dem wir diese Verpflichtung auch durch Erfüllung ihrer Kriterien einlösen, allmählich zu ihren (Mit-)Trägern werden. Daß wir das "dürfen", haben nicht wir uns angemaßt, sondern unsere japanischen Lehrer entschieden.Ganz so einfach ist das mit der Trennnung von "Kirche und Sport" im Falle von kyūdō bzw kyūjutsu nicht, denn die hier angesprochenen esoterischen Phantasien haben ja durchaus einen realen historischen Hintergrund - auch wenn der eben gänzlich anders aussieht, als der gemeine Schwärmer sich das so vorstellt.
Bogenschießen ist in Japan eng mit shintō verbunden, und es gibt sowohl shintō-Praktiken, die mit Pfeil und Bogen ausgeführt werden (wie das dämonenvertreibende, also glückbringende Schießen eines Pfeils über das Haus bei der Geburt eines Jungen) als auch "höhere" zeremonielle Formen in klassischen kyūjutsu-Schulen, die im Wortsinne esoterische, also "geheime" magische Elemente des shintō enthalten.
Hier eine Flötenpfeilzeremonie der Ogasawara Ryū (das sind die, die auch yabusame betreiben - das ja neben der militärisch relevanten Übung ebenfalls den Aspekt beinhaltet, die Götter gnädig zu stimmen) :
http://www.youtube.com/watch?v=hcnuo9QKFf8
En anderes Bespiel für die symbolisch-magische Bedeutung des Bogen ist das yumitori shiki, das den Wettkampftag im Sumo abschließt:
Dann wären da die konfuzianistischen Elemente des höfischen Bogenschießens, die aus China eingeführt wurden und die besonders in psychologischen Zusammenhängen tatsächlich vorhandenen Zitate von zenbuddhistischer Literatur in den "Geheimschriften" der alten kyūjutsu-Schulen (die immerhin so geheim - also außerhalt dieser Schulen unbekannt - sind, daß die Protagonisten des angeblichen Zenbogenschießens sie eben nicht kennen).
MUSS man sich deswegen zum shintō bekehren, um ernsthaft kyūdō betreiben zu können? Kaum. Der tradtionelle Langbogenschütze muß ja auch kein Christ sein, bloß weil Roger Ascham im Toxophilus an die 40 mal Gott erwähnt (wenn ich mich an die letzte Lektüre recht erinnere). KENNEN sollte man seinen kulturhistorischen Hintergrund allerdings - ohne romantische Verklärungen und Verzerrungen.
Zum Schluß ein erhellendes Zitat von Karl Friday, einem der wenigen Historiker, der sowohl als Akademiker wie auch als weit fortgeschrittener Adept einer der ältesten Schwertschulen Japans von der Materie wirklich etwas versteht:
"Budo is NOT a religious practice, nor is it an expression of any religious faith (a point that I've argued at length in several forums, including my *Legacies of the Sword* book). It's an utterly secular practice, compatible with a wide range of religious beliefs – or lack thereof. But in the worldview of medieval and early modern Japan (which underlies the whole budo concept), the bugei came to identified as a "michi", or "path", toward the same sort of transcendent understanding of the universe as was sought in various religious/philosophical traditions.
In early Japanese usage, the term referred simply to specialization or proficiency; but during the middle ages, "michi" took on a deeper meaning, as it merged with ontological and epistemological constructs drawn from Buddhism, Taoism and Confucianism. All three philosophies embrace the idea that some extraordinary level of understanding exists at which one can comprehend the phenomenal world as a whole, and that this level of understanding is attainable by virtually any human being who seeks it diligently enough. Followers of Confucianism or Taoism call this achievement "sagehood"; those of Buddhism, "enlightenment."
The cosmological premises underlying Confucian or Taoist sagehood and Buddhist enlightenment differ radically, but the three states share a unitary or totalistic notion of human perfection. They all recognize only two forms of human endeavor: those that lead to ultimate knowledge and understanding, and those that do not. Any and all variations of the former must, then, lead to the same place. There's no such thing as specialized perfection in the modern Western sense that recognizes the mastery of tennis as something fundamentally different from mastery of physics.
The medieval Japanese concept of michi, then, saw expertise in activities of all sorts – from games and sport to fine arts, and from practical endeavors to religious practice – as possessing a universality deriving from its relationship to a common, ultimate goal. Concentrated specialization in any activity was held to be an equally valid route to ultimate attainment of universal truth; complete mastery of even the most trivial of pastimes was believed to yield the same truths as can be found through the most profound. Within this cultural milieu, military training took its place alongside calligraphy, flower arranging, incense judging, poetry composition, No drama, the preparation of tea, and numerous other medieval michi.
Moreover, warriors recognized that fighting was a natural phenomenon like any other, and concluded that the more closely and optimally their movements and tactics harmonized with the principles of natural law, the better their performance in combat would be. On the purely physical level, this is a simple deduction, as obvious as the advantages of shooting arrows with rather than against a strong wind. But the monistic worldview of premodern Japan didn't distinguish physics from metaphysics. So to the samurai, the difference between corporeal and "spiritual" considerations in martial training was simply a matter of the level of sophistication and expertise at which the task was to be approached.
The "spiritual" aspect of bugei training – what modern writers often distinguish as "budo" – is an integral part of a unique parcel. Budo is not a form of religion, nor is it a part of any religion. It's a unique path that by its nature (it is believed) ultimately leads to essentially the same place as Taoist, Confucian or Buddhist (and other) religious training is believed to lead. It's a path (michi) like all the other michi (chanoyu, calligraphy, flower arranging, and the like), but it's also driven by a unique internal logic of its own."
Das ist jenseits aller esoterischen Prätentiositäten ein gänzlich anderes kulturelles Modell als das, dem die hier vertretenen traditionellen Bogenschützen folgen - man kann mit guten Gründen so weit gehen, es als ziemlich genauen Gegensatz zu diesem amerikanisch inspirierten individualistischen Modell zu verstehen. Wir sind uns also völlig im Klaren darüber, daß wir uns in einer hochspezifischen technischen und kulturellen Nische befinden.
Das Aussterben vieler bugei im Laufe historischer Umwälzungen, nicht zuletzt durch ihr militärisch-praktisches Überflüssigwerden und schlicht mangelndes Interesse ist den historisch geneigten unter uns geläufig - und während generisches kyūdō als solches zur Zeit sich weltweit ausbreitet, ist es keineswegs selbstversändlich, daß unsere spezifische Traditionslinie "für immer" überleben wird. Welche Anpassungen (und die hat es immer wieder gegeben) dazu notwendig sind, wird ihm Rahmen des beschriebenen Traditionsmodells aber nicht von fortgeschrittenen Anfängern wie mir entschieden.
Wer mir bis hierher folgen wollte, mag vielleicht besser verstehen, warum wir kyūdōka uns zwar gerne über Kultur- und Traditionsgrenzen hinweg austauschen, aber auch auf unseren eigenen Kriterien bestehen.